„Es geht darum, dass wir uns dem großen Wert unserer Umwelt bewusster werden“

Jörg Eigendorf ist seit 2022 Chief Sustainability Officer der Deutschen Bank. Im Interview mit der dfv Euro Finance Group zieht er ein Resümee und spricht über die größten Herausforderungen, die Auswirkung des Kriegs in der Ukraine und das Thema Greenwashing.

dfv Euro Finance Group (EFG): Sie sind seit gut einem Jahr Chief Sustainability Officer der Deutschen Bank. Was würden Sie sagen, was war Ihre größte Leistung in diesem Jahr?

Eigendorf: Wir sind in diesem Jahr ein großes Stück in allen vier Säulen unserer Nachhaltigkeitsstrategie vorangekommen – ganz gleich ob bei den nachhaltigen Bankgeschäften, unseren Richtlinien und Kontrollen, unserer Berichterstattung oder bei unserem Engagement in der öffentlichen Debatte. Wenn ich vergleiche, wo wir heute stehen und wo wir noch vor zwei Jahren standen, dann haben wir eine sehr weite Strecke zurückgelegt. Das war nur möglich, weil wir eine Kultur der Zusammenarbeit zwischen Kolleg*innen und Bereichen geschaffen haben, die es so früher nicht gab. Hier ist ein Team entstanden, das unsere Bank global umspannt. Das ist wohl der größte Erfolg.

 

dfv EFG: Und was war Ihre größte Herausforderung?

Eigendorf: Während wir uns sehr schnell voran bewegen, verändert sich das Umfeld, in dem wir uns bewegen, oft noch schneller. Die Erderwärmung schreitet rasant voran, und somit auch die Auswirkungen für unsere Kunden. Die Datenanforderungen nehmen ständig zu, die Geschäfte werden komplexer und die Außenwelt schaut zurecht sehr genau darauf, dass wir halten, was wir versprechen. Gleichzeitig wachsen regulatorische Anforderungen und es entstehen neue komplexe Berichterstattungsstandards wie die Corporate Sustainability Reporting Directive.
Und das alles müssen wir in einer Strategie zusammenführen und umsetzen. Darin besteht die größte Herausforderung.

 

dfv EFG: Haben Sie Rückschläge aufgrund der Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine in Ihrer Arbeit gespürt?

Eigendorf: Nein, im Gegenteil:  Ukrainekrieg und Energiekrise haben Nachhaltigkeit vorübergehend etwas aus dem Scheinwerferlicht genommen. Das haben wir genutzt, um intensiv und fokussiert an unserer Strategie zu arbeiten. Gleichzeitig haben die Covid-Pandemie und der Ukrainekrieg unmissverständlich klar gemacht, wie anfällig, aber auch anpassungsfähig unsere Wirtschaft ist. Diese Krisen haben mehr Wachsamkeit geschaffen, gerade auch für die ökologischen und sozialen Herausforderungen, und gleichzeitig gezeigt, was alles möglich ist.

 

dfv EFG: Das Thema Nachhaltigkeit rückt immer verstärkt in den Fokus – nicht nur aufgrund der Protestaktionen der letzten Generation. Die Deutsche Bank wirbt mit #PositiverBeitrag. Welchen Beitrag leistet die Bank in Ihrem Arbeitsalltag zum Thema Nachhaltigkeit?

Eigendorf: Wir sind nur eines von vielen Rädern im System, aber ein wichtiges. Da sind beispielsweise unsere Finanzgeschäfte, mit denen wir die Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaft unterstützen. Wir haben inzwischen mehr als 250 Milliarden Euro an Finanzierungen und Geldanlagen ermöglicht, die wir gemäß unserem öffentlichen Rahmenwerk als nachhaltig kennzeichnen. Das ist aber nur der Anfang. Es muss uns allen darum gehen, die Wirtschaftsleistung von CO2-Emissionen und dem unwiderruflichen Ressourcenverbrauch zu entkoppeln – und das so schnell wie möglich. Es geht darum, dass wir uns dem großen Wert unserer Umwelt bewusster werden. Dazu können wir als Bank einen wichtigen Beitrag leisten, indem wir Unternehmen dabei unterstützen, umweltschonender zu produzieren – sei es durch Kredite, sei es bei der Investorensuche. Wir sind zudem im ständigen Dialog mit Politik, Wissenschaft und anderen Interessengruppen, wie Nicht-Regierungsorganisationen, auf der Suche nach den besten Lösungen.

 

dfv EFG: Ihre Fondstochter DWS soll das Geld ihrer Kunden und Kundinnen weit weniger grün investiert haben als suggeriert wurde. Ist dieser Vorwurf eine Bürde für Ihre Arbeit?

Eigendorf: Bitte haben Sie Verständnis, dass ich nicht für die DWS spreche, weil unsere Fondstocher ein eigenständiges, börsennotiertes Unternehmen ist. Der Vorgang zeigt jedoch insgesamt, wie sensibel das Thema Nachhaltigkeit in der Kommunikation ist.

dfv EFG: Wie sehen Sie insgesamt für die Finanzbranche das Thema Greenwashing?

Eigendorf: Unter zwei Gesichtspunkten. Einerseits passiert sehr viel in Banken: Wir analysieren die Risiken sehr genau, die uns den Vorwurf des Greenwashings einhandeln könnten. Das beginnt mit Risikotypen bis hin zur konkreten Festlegung, wer dieses Risiko in unserer Bank steuert. Auch die Regulatoren haben hier viel geleistet. Die Anforderungen der Regulatoren an Banken und Finanzdienstleister steigen ständig. Andererseits müssen wir aufpassen, dass wir an nachhaltige Produkte nicht mit einem Perfektionsmaßstab herangehen, der irgendwann jegliche Innovation unmöglich macht. Das Perfekte ist hier der Feind des Guten. Gerade bei Nachhaltigkeit müssen wir uns auf einen Weg begeben, ohne direkt die Antwort auf alles zu haben. Uns allen muss klar sein: Der erfolgreiche Kampf gegen den Klimawandel wird noch viel Innovation erfordern und deshalb wird sich auch unser Verständnis davon ändern, was wir als nachhaltig erachten. Wenn wir das nicht berücksichtigen und stattdessen ständig Risiken in den Vordergrund stellen, werden wir kaum weiterkommen.

 

dfv EFG: Der Nachhaltigkeitstag der Deutschen Bank stand 2023 unter dem Motto: „Von Ambition zu Wirkung: Wie wir Transformationen vorantreiben“. Wie trägt die Deutsche Bank konkret dazu bei, die grüne Transformation voranzutreiben?

Eigendorf: Entscheidend ist der Dialog mit unseren Kunden, denn er ist unser wichtigstes Instrument. Im Austausch mit unseren Kunden können wir Lösungen finden, bei der Investorensuche helfen, und partnerschaftlich zusammenarbeiten. Die meisten Kunden wollen die Transformation angehen – sie suchen einen erfahrenen Partner auf der Bankenseite. Deshalb bin ich mit Nicht-Regierungsorganisationen oft nicht einverstanden, die einzelne Kundenbeziehungen an den Pranger stellen. Wenn wir eine Kundenbeziehung beenden, verlieren wir vollständig den Einfluss auf den jeweiligen Kunden und dessen Transformation. Und wenn streng regulierte und überwachte europäische Banken Kunden kategorisch ausschließen, werden andere bereit sein, diese Lücke zu füllen und dabei vielleicht deutlich weniger oder gar überhaupt nicht auf eine Transformation drängen. Die Trennung von einem Kunden sollte deshalb nur die Ultima Ratio sein, wenn sich ein Unternehmen dem Transformationspfad verweigert.

 

dfv EFG: Welche konkrete Entwicklung/Entscheidung wünschen Sie sich für die (grüne) Finanzbranche bis zum Auslaufen der Klimaziele 2025 des Pariser Abkommens?

Eigendorf: Zuallererst wünsche ich mir, dass endlich die gesamte Wirtschaft in den CO2-Emissionshandel einbezogen wird – ganz gleich ob Unternehmen oder Privatpersonen. Nur ein richtiges Preissignal wird die Innovationen schaffen, die wir brauchen, um Energie einzusparen und nach Alternativen zu suchen. CO2 ist aber erst der Anfang: Der Erhalt der Biodiversität wird noch viel wichtiger. Wenn wir als Menschheit weiter in diesem Tempo Land, Wasser und Rohstoffe verbrauchen wie bisher und so die Artenvielfalt zerstören, dann wird uns auch eine emissionsarme Wirtschaft nicht mehr helfen. Ich wünsche mir, dass die Finanzbranche den eingeschlagenen Weg konsequent weiterverfolgt – vor allem, wenn es darum geht, den echten Wert unserer Natur und Umwelt in unserem Wirtschaftssystem zu reflektieren.

 

dfv EFG: Vielen Dank Herr Eigendorf!